Jahrzehntelang galt der Ratschlag: Weniger Fleisch, mehr pflanzliche Kost – für die Gesundheit, das Klima und das Tierwohl. Doch aktuelle Studien werfen ein differenzierteres Licht auf den Fleischkonsum. Einige Ernährungswissenschaftler und Mediziner stellen die gesundheitlichen Risiken eines hohen Fleischverzehrs infrage. Was ist dran?
Neue Studien, neue Perspektiven
Ein vielbeachteter Bericht einer internationalen Forschergruppe, veröffentlicht im Fachjournal Annals of Internal Medicine (2019), sorgte für Aufsehen: Die Autoren werteten über ein Dutzend hochwertige Studien mit Millionen Teilnehmern aus. Ihr Fazit: Es gebe nur „sehr geringe“ Evidenz dafür, dass der Verzehr von rotem oder verarbeitetem Fleisch mit schwerwiegenden Gesundheitsrisiken wie Herzkrankheiten oder Krebs verbunden sei (Johnston et al. 2019).
Diese Ergebnisse widersprechen der bisher dominanten Position der Weltgesundheitsorganisation (WHO) und vieler Ernährungsgesellschaften. Kritiker betonen allerdings, dass die neuen Bewertungen nicht bedeuten, dass Fleisch gesund ist – sondern lediglich, dass der nachgewiesene Schaden bei üblichem Verzehr geringer sein könnte als oft behauptet.
Was sagen andere Forschungseinrichtungen?
Auch die Universität von Washington veröffentlichte 2022 eine überarbeitete Methodik für die Bewertung von Ernährungseinflüssen auf die Gesundheit. Ihre Global Burden of Disease-Studie kam zu dem Schluss: Die gesundheitsschädliche Wirkung von unverarbeitetem rotem Fleisch wurde in früheren Studien vermutlich überschätzt. Das tatsächliche Risiko sei bei moderatem Konsum sehr gering – vor allem im Vergleich zu bekannten Risikofaktoren wie Rauchen oder Bewegungsmangel.
Der Unterschied zwischen verarbeitetem und unverarbeitetem Fleisch
Wichtig ist die Unterscheidung zwischen unverarbeitetem Fleisch (z. B. Steak oder Kotelett) und verarbeitetem Fleisch(z. B. Wurst, Schinken, Salami). Während die Beweislage bei verarbeitetem Fleisch weiterhin auf ein erhöhtes Risiko z. B. für Darmkrebs hinweist (WHO 2015), sind die Zusammenhänge beim Konsum von unverarbeitetem Fleisch deutlich schwächer.
Fazit: Fleisch ist nicht pauschal ungesund
Die aktuelle Forschung zeichnet ein differenziertes Bild:
• Es gibt keine überzeugenden Belege, dass der regelmäßige Verzehr von unverarbeitetem Fleisch in moderaten bis höheren Mengen bei gesunden Erwachsenen direkt gesundheitsschädlich ist.
• Die gesundheitlichen Risiken wurden möglicherweise überschätzt – insbesondere in Beobachtungs-
studien mit methodischen Schwächen.
• Verarbeitetes Fleisch bleibt aufgrund von Zusatzstoffen, Salz und Verarbeitungsverfahren ein Risikofaktor.
Was bedeutet das für die eigene Ernährung?
Fleischliebhaber dürfen aufatmen: Wer Wert auf Qualität legt, auf übermäßige Verarbeitung verzichtet und sich insgesamt ausgewogen ernährt, muss sich um den Fleischkonsum weniger Sorgen machen als lange angenommen. Trotzdem gilt: Vielfalt und Maß bleiben die besten Prinzipien – nicht nur für die Gesundheit, sondern auch für Umwelt und Tierwohl.
Quellen:
• Johnston, B.C. et al. (2019): Unprocessed Red Meat and Processed Meat Consumption: Dietary Guideline Recommendations From the NutriRECS Consortium. In: Annals of Internal Medicine, 171(10), 756–764.
• GBD 2019 Risk Factors Collaborators (2022): Global burden of 87 risk factors in 204 countries and territories, 1990–2019: a systematic analysis. In: The Lancet.
• WHO (2015): Q&A on the carcinogenicity of the consumption of red meat and processed meat.
• Murray, C.J.L. et al. (2022): Re-evaluating red meat’s risk. In: Nature Medicine.